Pressemitteilung

"...dein Studium: unbezahlbar." -- Wie aus lebenslangem Lernen lebenslänglich Zinsen werden

FACHKRAFT veröffentlichte heute unter http://www.open-politix.de/cortscalc
einen Online-Rechner, mit dem sich Studierende und Interessierte ausrechnen können, wie hoch die finanziellen Belastungen durch das in Hessen geplante "Studienbeitragsgesetz" tatsächlich ausfallen werden. "Die Ergebnisse sind schockierend", mahnt Senats-Spitzenkandidat und stellv. AStA-Vorsitzender Juko Marc Lucas, "nach den gesetzlichen Vorstellungen der CDU kann es schnell passieren, dass man Zehntausende von Euros 'zurückzahlt', ohne jemals wieder schuldenfrei zu sein!"
Eine veranschaulichende Beispielrechnung finden Sie hier.

In seiner Audiobotschaft sprach Roland Koch von einem Darlehen zu "besonders günstigen Konditionen". Das geplante Gesetz sieht vor, dass das großmütig angebotene Darlehen in Raten von 50, 100 oder 150 Euro zurückgezahlt wird.
Dabei fallen Zinsen von bis zu 7,5% an, auf Antrag kann eine Kappung des aktuellen Schuldenbergs bei 17.000 Euro vorgenommen werden. "Diese Eckdaten genügen, um in eine lebenslange Schuldenfalle zu geraten", erklärt Christian Hof, Sprecher der Senatsliste FACHKRAFT, "bei 17.000 Euro wäre ein Zinssatz von 3,3% ausreichend, um eine Tilgung mit 50-Euro-Raten zu Lebzeiten unmöglich zu machen, bei 3,6% lägen die Zinsen sogar über der Rate, und bei 7,1% würden auch Raten von 100 Euro nicht mehr helfen, obgleich man nach 80 Jahren 96.000 Euro gezahlt hätte." Tatsache -- ein echtes Schnäppchen! Fragt sich nur für wen.

Cui bono?

Die von der CDU beworbene Kappungsgrenze bleibt relativ wirkungslos. "Es sollte klar sein, dass die Zinsen selbstverständlich nicht den Universitäten zugute kommen werden", empört sich StuPa-Spitzenkandidatin Kathrin Kattler, "es ist zudem offensichtlich, wer überhaupt ein Darlehen zur Gebührenfinanzierung aufnehmen muss -- die zukünftigen ZinsenzahlerInnen stammen wohl kaum aus den wohlhabenderen Schichten."

Und hier liegt das verschärfende Problem: Die Gebühren an sich werden Kinder aus einkommensschwachen Familien nicht nur tendenziell von einem Studium abschrecken, unterm Strich müssen sie ganz real sehr viel mehr für das gleiche Studium zahlen als Bessergestellte, die keinen Kredit benötigen.
Dieses Darlehensystem führt also in keiner Weise einen sozialen Ausgleich herbei, sondern verschlimmert die Schieflage zusätzlich.

"Um diese graue Theorie begreifbar zu machen, haben wir CortsCalc entwickelt", erklärt der angehende Informatiker und derzeitige AStA-Referent für Technik und Open Source-Politik, Martin Scholl: "Das Formular errechnet anhand persönlicher Angaben die tatsächlichen Schulden, die sich nach dem vorgeschlagenen CDU-Gesetz im Laufe des Lebens anhäufen werden -- mit Zins und Zinseszins." Wer nicht selbst studiert, kann sich auch eine realistische Beispielrechnung zeigen lassen.

Hintergrund

Die Hessische Landesregierung plant zum Wintersemester 2007/08 die Einführung von allgemeinen Studiengebühren. Alle Studierenden sollen ab dem ersten Semester mindestens 500 Euro je Semester zahlen. Dieses Vorhaben verstößt jedoch gegen Paragraph 59 der Hessischen Landesverfassung, der die Erhebung von Gebühren aus sozialen Gründen untersagt -- niemand soll durch finanzielle Hürden von einem Studium abgehalten werden.
Ihren Verfassungsbruch möchte die allein regierende CDU daher durch ein gleichzeitig einzuführendes Darlehensystem kaschieren. Sie erweckt den Eindruck, die "unbürokratisch" mögliche Kreditfinanzierung der Gebühren würde ihre unstrittigen sozialen Nachteile ausgleichen.
Doch das Gegenteil ist der Fall: Die Darlehen der hessischen CDU vergrößern die soziale Schieflage zusätzlich, und zwar in enormen Ausmaßen.

Als besonders "soziales" Merkmal dieses Modells soll mit der Rückzahlung des Kredits erst bis zu zwei Jahre nach Studienende begonnen werden können, und erst ab einer Gehaltsgrenze von monatlich 1060 Euro soll überhaupt gezahlt werden müssen -- in individuell festlegbaren Raten von 50, 100 oder 150 Euro.
Was als Sozialfeature dargestellt wird, birgt jedoch bei genauerem Hinsehen viel größere finanzielle Risiken als die eigentlichen Studiengebühren. Denn nach dem Willen von Ministerpräsident Roland Koch und seinem Wirtschaftsminister Udo Corts werden diese Kredite mit bis zu 7,5% verzinst, was langfristig zu erheblichen Schuldlasten führen kann, die in ungünstigen (aber nicht unwahrscheinlichen) Fällen den ursprünglichen Gebührenkredit übertreffen.

Bereits bei der Einführung von Langzeitstudiengebühren ließ Udo Corts 2003 durchblicken, dass Mathematik und realistische Abschätzungen nicht seine Stärke sind: Er versprach Einnahmen von 24 Mio. Euro, hatte am Ende aber nur 9,1 Mio. eingenommen. Mit dem "Studienbeitragsgesetz" (HStuBeiG) legt Corts nun ein weiteres Meisterwerk an Fehlplanung und Wunschdenken vor.


FACHKRAFT ist eine hochschulpolitische Liste der Philipps-Universität Marburg.
Fachschaftsnah und parteiunabhängig vertreten wir studentische Interessen in StuPa und Senat, und sind seit dem ersten Wahlantritt 2003 AStA-tragende Liste. Dabei verfolgen wir ein offenes Politikkonzept und laden zu freier Teilnahme und Kritik ein.

# Samstag, 17. Juni 2006, 18:41, von _mike_ in Studiengebuehren

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