Hinter der Diskussion über Studiengebühren verschwindet die Notwendigkeit, das Hochschulsystem entlang wissenschaftlicher und nicht zuerst ökonomischer Grundsätze zu erneuern.

VON TORSTEN BULTMANN

Derzeit ist die gesamte öffentliche Hochschulreformdiskussion zu Gunsten eines dominanten ökonomischen Diskurses entpolitisiert worden, in welchem Begriffe wie "Ef-fizienz", "Eigenverantwortung" und (finanzielle) "Selbstbeteiligung" eine tragende Rolle spielen. Strukturprobleme und politische Reformdefizite werden vor diesem Hintergrund vorrangig im Medium von Finanzierungsfragen erörtert und damit quasi unkenntlich, undebattierbar, gemacht.

Dabei ist (. . .) in der Präsentation des Studiengebührenthemas in den letzten 15 Jahren ein signifikanter Wandel festzustellen. Bis weit in die 90er Jahre wurde diese Forderung überwiegend eher defensiv und technisch erhoben: Gebühren galten - gerade aus der Perspektive der Rektoren - als Ersatz für eine rückläufige staatliche Hochschulfinanzierung. Heute hingegen steht primär die vermeintlich produktive bildungspolitische Lenkungswirkung im Vordergrund.

Zunächst wird angenommen, dass Studiengebühren die Studienzeiten verkürzen - aus dem ganz trivialen Grund geringerer persönlicher Kostenbelastung. Diese Beschleunigung ist jedoch nur ein Art Kollateralnutzen. Worauf es weit mehr ankommt, ist die Tatsache, dass Gebühren auf Seiten der Studierenden ein rechenhaft-kalkulierendes und instrumentelles Verhältnis zu den eigenen Bildungswünschen und wissenschaftliche Interessen erzeugen würden; sicher nicht in jedem Einzelfall, aber im gesellschaftlichen Durchschnitt.

Kurz: Studiengebühren sollen das persönliche Bildungsverhalten, angefangen bereits bei der Wahl der Fachrichtung, stärker auf künftige Verwertbarkeit ausrichten, da sie als "Preis" für Bildung - in der Sprache neoliberaler Bildungsökonomie: als individuelle Investition in das eigene Humankapital - eine künftige Rendite abwerfen müssen, die nur die Form eines mit dem jeweiligen Bildungsabschluss zu erzielenden Markteinkommens haben kann.

Die wissenschaftlichen Konsequenzen bestünden schließlich darin, dass die Fachbereiche ihrerseits indirekt gezwungen sind, ihre Angebote stärker auf den (Arbeits-) Markt auszurichten, um Studierende anzuwerben, und zwar in dem Maße, wie sie auf Einnahmen aus Gebühren angewiesen sind. Neuere Studienkontomodelle verkoppeln in diesem Rahmen konsequenterweise die staatliche (Rest-)Finanzierung der Hochschulausstattung mit dem Umfang studentischer "Nachfrage" nach Lehrangeboten. Wettbewerbsvorteile erzielen dann die Hochschulen, die mit dem geringstmöglichen Aufwand eine maximale Zahl von glücklich wirkenden Studierenden durch das "System" schleusen. Rein technisch lässt sich ein solches Modell eventuell installieren. Dass damit allerdings der gesellschaftliche Nutzen von Hochschulen gesteigert würde, ist eine völlig unbewiesene Behauptung. Vermutlich dürften die notwendigen wissenschaftlichen Folgeinvestitionen zur Beseitigung der gesellschaftlichen Schäden, die ein solches Bildungsverständnis anrichtet, wesentlich höher sein als kurzfristig erzielte Einsparungen. Also kann man es auch gleich sein lassen - was nicht nur kostengünstiger wäre, sondern überhaupt erst den Raum für eine wirkliche Hochschulreformdebatte schaffen würde, eine Debatte, die sachgemäß beim gegenwärtigen gesellschaftlichen Zustand ansetzten und die Betriebswirtschaftslehre ignorieren muss.


Quelle: Frankfurter Rundschau

Siehe hierzu auch: www.kHOSSmos.de.vu

# Samstag, 13. Dezember 2003, 12:49, von hoss in Presse

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